04/01/2014
Dr. Werner Conrad

Wettbewerb in nie gekanntem Ausmaß

Welches Vorurteil über das Onlinegeschäft ist definitiv falsch?

Conrad: Dass die Deutschen im internationalen Vergleich digital hinterherhinken würden. 80 Prozent der Bevölkerung haben Zugang zum Internet. 77 Prozent sagen, sie hätten schon einmal online gekauft. Das sind Werte, die uns international an die Spitze hieven. Bis 2017 werden uns im E-Commerce-Bereich die höchsten Zuwachsraten in Westeuropa prognostiziert.

Woran messen Sie den immer größeren Einfluss des Internets auf Ihr Geschäft?

Conrad: Der Anteil der Kunden, die sich im Internet informieren, bevor sie auf unsere Website oder in unsere Filialen kommen, liegt bereits bei 50 bis 75 Prozent. Das Internet hält für die Kunden heute eine unglaubliche Transparenz bereit. Das schafft Druck auf die Preise und die Margen.

Das ist die totale Vergleichbarkeit. Was heißt das für den Unternehmer?

Conrad: Der Unternehmer muss sein Leistungsangebot überprüfen, damit ihn der Konsument nicht nur auf den Preis reduziert. Guter Service, alternative Vertriebskanäle oder Eigenmarken können helfen, um aus dieser Spirale auszubrechen. Schwieriger ist es, die Strukturen im Unternehmen an das Onlinegeschäft anzupassen. Das merken selbst wir, obwohl wir als Internet-Pionier schon 1996 mit damals 35.000 Artikeln online gegangen sind. Reine Internetanbieter können dagegen mit Kostenstrukturen operieren, die gewachsene Unternehmen so nicht besitzen.

An welchem Thema arbeiten Sie deswegen?

Conrad: Da taucht zum Beispiel immer wieder die Frage auf, wie bekomme ich Produkte schnell verkaufsfähig. Jetzt können wir auf eine große Logistik zurückgreifen, die über 300.000 verschiedene Artikel durchschleust. Ohne Verpackungs- und Anlieferungsvorschriften funktioniert das nicht. Viele kleine Lieferanten können aber 30-seitige Anforderungskataloge nicht erfüllen.

Ist das Internet der gnadenlose Monopolisierer, der kleine Anbieter zur Seite drückt?

Conrad: Nein, eigentlich nicht. Es schafft gerade Vielfalt für den Kunden und damit Wettbewerb in nie gekanntem Ausmaß für die Unternehmen. Die Barrieren für den Markteintritt sind doch heute viel geringer als früher. Es gibt standardisierte Technologien und Webshops. Mit der eigenen Familie und ganz wenigen Mitarbeitern kann man das Geschäft zum Laufen bekommen.

Wie verändert der Onlinehandel den Markt?

Conrad: Es klingt überraschend, aber es stimmt: Der Onlinehandel verlagert Arbeit zum Kunden. Nehmen Sie einen Hersteller für maßgeschneiderte Pumpen in der Industrie. Früher waren dessen Ingenieure im Außendienst unterwegs, um die Spezifikation festzulegen. Heute bietet das Unternehmen im Internet einen Pumpenkonfigurator an. Der Kunde tippt die Daten ein, die in einem CAD-System umgesetzt werden. Der Hersteller kann sich jetzt viel Personal sparen. Der Grundgedanke des Internets, dass Konsumenten zum Produzenten werden, ist hier vorbildlich umgesetzt. Wir kennen dies von vielen anderen Orten wie vom Flughafen, wo wir inzwischen sogar unser Gepäck selber einchecken.

Wie reagieren Sie darauf, dass Kunden sich im Geschäft beraten lassen und dann doch beim billigsten Anbieter im Internet kaufen?

Conrad: Wir versuchen marktfähige Preise zu machen und auszuloten, wie viel der Kunde bereit ist, daraufzulegen, wenn er gute Beratung und Service erhält. Kleinteile wie Kabel sind preisunsensibel, bei einem großen Flachbildschirm müssen wir sehr vorsichtig prüfen, ob ein paar wenige Euro mehr möglich sind. Wir bilden aus, übernehmen das physische Warenhandling, das alles hat seinen Preis im Gegensatz zu einem reinen Onlineshop, der manchmal noch nicht einmal selber Ware bewegt.

Eröffnen Sie heute noch Filialen?

Conrad: Jein. Wir sind uns zwar sicher, dass Filialen auch in Zukunft eine Berechtigung haben werden. Wir sind uns aber nicht ganz sicher in welchem Format. Wir werden in Zukunft mehrere Typen von Geschäften betreiben, Flagship-Stores in großen Metropolen, ergänzt um kleinere Geschäfte für „click und collect“, das heißt, der Kunde bestellt im Internet, holt die Ware im Laden ab und findet dort noch etwas Zubehör. Wir experimentieren mit verschiedenen Typen. Klar ist nur, dass es keinen eigenen Filialprozess geben wird, sondern nur noch einen E-Commerce-Prozess, den der Kunde auch in einem stationären Geschäft erlebt.

Mit welchen Auswirkungen?

Conrad: Wir experimentieren mit großen Bildschirmen in der Filiale für Produkte, die nicht vorrätig sind. Der Verkäufer kann sie außerdem auf einem iPad zeigen und erklären. Das reduziert die Kosten. Der Kunde, der bei Conrad einen Online-Account hat, bezahlt damit auch in der Filiale. Am Ende verschwindet die reale Kasse.

Wird es den Familienunternehmer auch online geben?

Conrad: Zunächst einmal ja, wir versuchen, den Bezug zu Mitarbeitern und Kunden aufrechtzuerhalten. Ich frage mich jedoch schon, wie viele Familienunternehmer aus den digitalen Startups hervorgehen werden? Diese sind in erster Linie über Venture Capital und über geplante Börsengänge finanziert. Sie sind auch nicht mehr so angelegt wie bei uns, dass man stolz wäre, wenn die eigenen Kinder das Unternehmen weiterführen. Sie setzen allein auf schnelles Wachstum.

Conrad Electronic SE

Das Unternehmen Conrad wurde 1923 in Berlin gegründet. Heute wird das Familienunternehmen in vierter Generation von Werner Conrad geführt. Der Firmensitz befindet sich in Hirschau in der Oberpfalz/Bayern. Conrad gehört mit rund 500.000 Artikeln, 13 Mio. Versandkunden und jährlich über 14 Mio. Besuchern in den Filialen zu den führenden Multichannel-Anbietern für Technik und Elektronik in Europa. Die Unternehmensgruppe beschäftigt mehr als 4.000 Mitarbeiter weltweit und ist mit eigenen Landesgesellschaften in 17 Ländern Europas vertreten.