04/01/2019
Friedrich von Metzler

Neue Wege in der betrieblichen Altersvorsorge

Anfangs war die Niedrigzinspolitik als vorübergehender Rettungsanker gedacht. Doch inzwischen hält die Europäische Zentralbank den Leitzins seit elf Jahren auf einem Rekordtief nach dem anderen – mit negativen Auswirkungen nicht nur für die private Vorsorge, sondern auch für die betriebliche Altersversorgung (bAV). Betroffen ist davon einerseits die Anlagenseite: So ging unlängst durch die Presse, dass die Finanzaufsicht (BaFin) viele Pensionskassen unter verschärfter Beobachtung habe und fürchte, dass bei diesem Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung bald Leistungskürzungen für die Rentner drohen. Andererseits führt der Rückgang der Kapitalmarktzinsen zum Absinken des Rechnungszinssatzes, mit dem Pensionsrückstellungen handelsrechtlich abgezinst werden müssen. Die dadurch steigenden Pensionsrückstellungen haben entsprechende Liquiditätseffekte und Bilanzwirkungen. Eine weitere Belastung sind die mit den üblichen Durchführungswegen der bAV verbundenen Garantien. Denn diese Kosten steigen umso stärker, je niedriger die Zinsen sind.

Auch für Familienunternehmen ist betriebliche Altersversorgung wichtig – nicht zuletzt im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte. Aber die Gestaltungsmöglichkeiten und Fallstricke sind so komplex, dass man es oft bei den bestehenden Modellen belässt, wenn nicht gravierende Veränderungen wie ein Eigentümer- oder Generationenwechsel anstehen. Dabei gibt es Lösungen für die erwähnten Probleme. So entlastet eine Auslagerung der Verpflichtungen, das heißt eine Übertragung beispielsweise auf einen Pensionsfonds, Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung. Ferner schuf der Gesetzgeber im Rahmen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes das sogenannte Sozialpartnermodell: Seit Januar 2018 kann eine betriebliche Altersversorgung per Tarifvertrag in Unternehmen eingeführt werden – und zwar ohne dass der Arbeitgeber das Leistungsniveau garantieren muss.

Der Garantieausschluss kommt einer Revolution in der betrieblichen Altersversorgung gleich. Endlich können Arbeitnehmer die Chancen des Kapitalmarkts für ihre Vorsorge nutzen, während gleichzeitig die Unternehmen entlastet werden. Besonders für kleinere und mittlere Unternehmen wird die betriebliche Altersversorgung durch die reine Beitragszusage attraktiver gemacht, da sie nicht mehr für die Höhe der späteren Renten haften. Bisher haben möglicherweise erforderliche Nachzahlungen sie oft davon abgehalten, Betriebsrenten anzubieten.

Die reine Beitragszusage birgt aus meiner Sicht höhere Renditechancen bzw. die Chance auf ein ausgewogenes Verhältnis von Rendite und Sicherheit. Denn der größere Spielraum am Kapitalmarkt kann unter anderem für die Anlage in Substanzwerte wie Aktien genutzt werden. Bekannt und durch unzählige Studien bestätigt ist ja die langfristige Überlegenheit der Aktie gegenüber anderen Anlageformen. Dass sich Beiträge flexibler und mit höheren Renditechancen anlegen lassen, dürfte also insbesondere für jüngere Arbeitnehmer interessant sein. Die entsprechend höhere Volatilität kann durch ein Risikomanagement gedämpft werden, welches Leistungsschwankungen begrenzt.

Leider gab es bisher kaum ernsthafte Verhandlungen zwischen Tarifpartnern, und es bleibt abzuwarten, wie die Sozialpartner mit den angebotenen Gestaltungsmöglichkeiten umgehen. Der Erfolg des Modells hängt nicht nur davon ab, dass es Initiatoren für die Verhandlungen geben muss, sondern auch von der Bereitschaft der Arbeitgeber, über die Förderbeträge hinaus Mittel bereitzustellen. Der Wegfall der absoluten Planungs- und Versorgungssicherheit widerspricht der Garantie- und Sicherheitsaffinität der Deutschen – zumal es bisher in der Kommunikation rund um das Sozialpartnermodell nicht gelungen ist, die Vorteile ausreichend herauszustellen. Die größte Herausforderung besteht darin, Vertrauen in garantiefreie Modelle zu schaffen.

Übrigens werden mit dem Sozialpartnermodell gut funktionierende Betriebsrentensysteme nicht zur Disposition gestellt; beide Systeme können nebeneinander bestehen. Das Sozialpartnermodell kann aber aus meiner Sicht mit langfristig tragfähigen Lösungen Chancen für Arbeitnehmer erweitern, Arbeitgeber entlasten und die betriebliche Altersversorgung in Deutschland stärken. Und ich hoffe, dass dadurch der Weg für eine grundsätzlich stärkere Gewichtung von Aktien in der Altersvorsorge freigemacht wird.

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